Alle Unternehmen, die ich kenne und berate sind an einer Langzeitqualität ihrer Produkte interessiert. Die Vorurteile, dass Produkte bewusst mit Schwachstellen ausgelegt werden, um ein vorzeitiges Produktlebensende herbeizuführen kann ich nicht bestätigen. Im Gegenteil. Produkte, die in Deutschland entwickelt und produziert werden haben aufgrund ihres Qualitätsanspruches und höheren Preises auch fast immer das Ziel, eine gute Langzeitqualität aufzuweisen. Der Spruch: „Für qualitativ schlechte Produkte bin ich zu arm“ trifft insbesondere für die Langzeitqualität zu und ist somit ein wichtiges Kriterium bei dem (Wieder-)Kauf eines neuen Produktes.
Allerdings ist es für viele Unternehmen gar nicht einfach, die Produkte auf eine langzeitliche Qualität auszulegen. Der Grund: es fehlen die Reklamationsinformationen der Kunden nach Ablauf von Gewährleistungs- und Garantiefristen.
Unternehmen, die ihre Produkte mit einem Wartungsservice bis zum Produktlebensende betreuen, haben diese Herausforderung nicht. Diese haben alle Daten, um zu wissen, in welcher Lebensphase die Produkte welche Probleme aufweisen und können diese Daten zur Verbesserung der Langzeitqualität für die nachfolgenden Produktgenerationen verwenden.
Das Problem mit den Daten zu Langzeitqualitätsproblemen
Anders sieht es bei Unternehmen aus, die Kundenreklamationen zu Produktproblemen/-fehlern in der Regel nur bis zum Ablauf von Gewährleistungs- bzw. Garantiefristen erhalten. Die Kunden werfen nach Ablauf der Fristen das Produkt weg, da eine Reparatur zu teuer oder unmöglich ist oder suchen für die Reparatur Werkstätten auf, die mit dem Hersteller nicht verbunden, dadurch aber auch günstiger sind. Ein Beispiel hierfür ist die Automobilindustrie, das wir nachfolgend vertiefen.
In der Regel fährt der Neuwagenkäufer mit dem Fahrzeug innerhalb des Gewährleistungs- bzw. Garantiezeitraumes zu einer Niederlassung des Herstellers oder zu einem Vertragshändler, wenn es außerhalb des Serviceintervalls zu einem Problem am Fahrzeug kommt. Denn im Gewährleistungsfall wird die Fehlerbehebung vom Hersteller übernommen, solange es sich nicht um ein Verschleißteil, einen Unfallschaden oder Missbrauch handelt. Nach Ablauf der Gewährleistungs- bzw. Garantiefrist gehen viele Fahrzeughalter zu freien Werkstätten, da diese in der Regel günstiger als die Niederlassung der Hersteller oder die Vertragswerkstätten sind. Und somit verschwinden für die Hersteller auch die Informationen von Produktprobleme nach der Gewährleistungs- bzw. Garantiefrist, die für die Auslegung der Langzeitqualität allerdings essentiell sind.
Beschaffung von Daten zu Langzeitqualitätsproblemen
Und trotzdem gibt es Möglichkeiten, wie Hersteller von Langzeitproblemen ihres Produktes erfahren und entsprechende Informationen sammeln und auswerten können:
- Gewährleistungsfristen sind auf den Märkten unterschiedlich. In den europäischen Märkten gibt es in der Regel eine gesetzliche Gewährleistungsfrist von 2 Jahren. Für den amerikanischen Markt (USA) gilt jedoch eine vierjährige Gewährleistungsfrist. Wenn man als Hersteller jetzt noch eine zweijährige Anschlussgarantie nach Ablauf der Gewährleistungsfrist anbietet, deckt man bereits 6 Jahres eines Produktlebens ab. Natürlich nimmt der Stichprobenumfang von Jahr zu Jahr ab. In diesem Beispiel ist der amerikanische Markt für deutsche Premiumhersteller der Automobilindustrie immer noch groß genug, um für einen Produktlebenszeitraum von 6 Jahren einen aussagefähigen Stichprobenumfang zu haben. Auch deckt man mit dem Markt USA Produktprobleme aus Kaltländern (z.B. Alaska) oder Heißländern (z.B. Florida) ab. Auch unterschiedliche Fahrprofile können in einem ausreichenden Stichprobenumfang erhoben werden (Stadt, Land, Vielfahrer, …).
- Ersatzteileabsatz. Eine weitere Möglichkeit langzeitliche Produktprobleme zu identifizieren, ist die Analyse des Ersatzteileverkaufs. Der Verkauf von Ersatzteilen liefert den Herstellern auch Hinweise, wo Langzeitprobleme der Produkte liegen können. Hier ist allerdings darauf zu achten, dass man Teile, die häufig bei Unfällen beschädigt werden, als auch Verschließteile richtig interpretiert und bewertet. Des Weiteren ist auch darauf zu achten, dass Ersatzteile häufig auch von Lieferanten auf dem Markt angeboten werden und somit nicht alle Teileverkäufe vollständig durch den Produkthersteller abgedeckt sind.
- Raffer-Tests (beschleunigte Alterung) und unternehmensinterne Langzeiterprobung. Viele Unternehmen haben Raffer-Tests zur beschleunigten Alterung für bekannte Langzeitprobleme etabliert, um in der Entwicklung bereits an Prototypen die Langzeitqualität zu erproben. So haben bspw. alle Hersteller von Automobilen Raffer-Tests für den Korrosionsschutz, der bereits in der Entwicklung Aussagen zur Langzeitkorrosion zulässt. Darüber hinaus haben Automobilhersteller auch eine kleine Flotte an Fahrzeugen, die für die Langzeiterprobung herangezogen wird. In kürzester Zeit werden über 200.000 km pro Fahrzeug gefahren, um frühzeitig, vor den Kunden mögliche Langzeitprobleme zu identifizieren. Allerdings ist hier der Stichprobenumfang viel zu klein, um das weltweite Langzeitverhalten der Produktqualität abzubilden. Die Erkenntnisse aus der Langzeiterprobung der Hersteller müssen von daher intelligent interpretiert werden und geben keine Garantie, dass man relevante Langzeitprobleme tatsächlich findet.
In der Automobilindustrie sind beispielsweise die ersten Hersteller dabei die digitale Fahrzeugakte einzuführen. Die digitale Fahrzeugakte wird bis zum Lebensende eines jeden Fahrzeuges immer die aktuellen Funktionszustände und Softwareversionen halten und eine Verbindung zu den Backend Systemen der Hersteller haben. Somit werden auch Einträge von Onboard-Fehlerspeichern den Herstellern über den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeuges zur Verfügung stehen und die Datenlage für Langzeitqualitätsprobleme deutlich verbessern.
Analyse von Langzeitqualitätsdaten
Wichtig ist auch die Differenzierung zwischen tatsächlichen Langzeitfehler des Produktes und Produktfehler, die während des gesamten oder nur am Beginn des Lebenszyklus auftreten. Diese Analyse Bedarf auch einer großen Erfahrung und sollte nicht unterschätzt werden. Nachfolgend eine grobe Vorgehensweise, wie die Langzeitqualität reaktiv und präventiv verbessert werden kann:

Und zum Schluss noch die Definition der Langzeitqualität selbst. Es gibt keine feststehende Definition für Langzeitqualität. So muss jedes Unternehmen für sich selbst definieren, was es unter Langzeitqualität versteht. Und das sollte immer der erste Schritt sein. An diesem ersten Schritt sind allerdings auch schon einige Unternehmen gescheitert.
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Hier noch ein Link auf eine interessante Studie zur Langzeitqualität: Studie zu Langlebigkeit von Produkten: Qualität zahlt sich aus | VZBV